Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung - Die Änderungen der ZPO per 1. Januar 2025 im Überblick
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Das bis 2010 kantonal geregelte Zivilprozessrecht wurde per 1. Januar 2011 schweizweit kodifiziert und vereinheitlicht. Die Herausforderung, 26 kantonale, jahrzehntelange gefestigte Regelwerke in ein Werk zu überführen, ist weitgehend gelungen.
Die seither in der Praxis gesammelten Erfahrungen zeigten dennoch in gewissen Punkten Bedarf nach einer Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Kodifizierung der gefestigten Gerichtspraxis. Daher wurden die betroffenen Bestimmungen der Zivilprozessordnung überarbeitet. Der Entwurf für eine Revision wurde 2020 veröffentlicht.
Zwischenzeitlich wurden diese Änderungsvorschläge vom Parlament eingehend diskutiert, überarbeitet und letztlich verabschiedet. Das Referendum wurde nicht ergriffen. Der Bundesrat setzt diese Revision per 1. Januar 2025 in Kraft.
Die geplanten Änderungen betreffend den kollektiven Rechtsschutz wurden in diesem Revisionsvorgang ausgeklammert und werden zu einem späteren Zeitpunkt separat behandelt.
Hiernach werden die einzelnen Punkte der Revision zusammengefasst. Auf die Darstellung von Änderungen redaktioneller oder marginal materieller Natur wurde jedoch verzichtet.
Einzige kantonale Instanz (Art. 5 Abs. 1 lit. f nZPO)
Neu können Klagen gegen den Bund erst ab einem Streitwert von CHF 30‘000.- bei der einzigen kantonalen Instanz eingereicht werden. Bisher bestand keine Streitwertlimitierung.
Erweiterung und Konkretisierung der Voraussetzungen zur Klage am Handelsgericht (Art. 6 Abs. 2 lit. b, c und d, Abs. 3, Abs. 4 lit. c und Abs. 6 nZPO)
Das Gesetz legt die Streitwertgrenze neu ausdrücklich bei CHF 30'000.- fest. Die handelsgerichtliche Zuständigkeit wird nicht mehr durch die Voraussetzung eingeschränkt, dass gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen offensteht. Neu wird ebenfalls konkretisiert, dass die Parteien als Rechtseinheiten (Einzelfirma, Körperschaft etc.) im Handelsregister eingetragen sein müssen. Zudem darf es sich nicht um eine Streitigkeit aus Arbeitsverhältnis, nach dem Arbeitsvermittlungsgesetz, nach dem Gleichstellungsgesetz, aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen oder aus landwirt-schaftlicher Pacht handeln.
Die Kantone können das Handelsgericht neu auch für zuständig erklären, wenn – nebst der örtlichen Zuständigkeit – folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Die Streitigkeit betrifft die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei.
- Der Streitwert beträgt mindestens CHF 100'000.-.
- Die Parteien stimmen der Zuständigkeit des Handelsgerichts zu.
- Im Zeitpunkt der Zustimmung hat mindestens eine Partei ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder ihren Sitz nicht in der Schweiz.
Damit wird auf Bundesebene die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Kantone spezialisierte internationale Handelsgerichte einrichten können. Bemerkenswert dabei ist, dass keine der Parteien über einen Handelsregistereintrag verfügen muss. Die Zuständigkeitsvereinbarung ist sodann nicht formgebunden und kann sowohl im Voraus als auch nach Entstehen der Streitigkeit oder gar implizit nach Klageerhebung durch Einlassung geschlossen werden. Im internationalen Kontext wird also eine weitergehende Vereinbarkeit der handelsgerichtlichen Zuständigkeit als im Binnenverhältnis geschaf-fen. Unklar ist zum heutigen Zeitpunkt, ob die Zuständigkeit des Handelsgerichts im internationalen Kontext auch für arbeits- und mietrechtliche Angelegenheiten (welche nach Art. 6 Abs. 2 nZPO ausgeschlossen sind) gewollt ist.
Neu wird zudem im Gesetzestext klargestellt, dass das Handelsgericht für Klagen von Streitgenossen, die nicht alle als Rechtseinheiten im schweizerischen Handelsregister oder einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind, nur zuständig ist, wenn alle Klagen in die Zuständigkeit des Handelsgerichts fallen. Ansonsten findet eine Kompetenzattraktion beim ordentlichen Gericht statt.
Vorsorgliche Massnahmen bei der direkten Klage beim oberen Gericht (Art. 8 Abs. 2 nZPO)
In vermögensrechtlichen Streitigkeiten kann mit Zustimmung der beklagten Partei und einem Streitwert von mindestens CHF 100‘000.- direkt beim oberen Gericht geklagt werden. Präzisiert wird neu, dass in diesem Fall dieses Gericht ebenfalls für die Anordnung von vorsorglichen Massnahmen zuständig ist.
Handeln nach Treu und Glauben (Art. 52 Abs. 2 nZPO)
Unrichtige Rechtsmittelbelehrungen sind neu gegenüber allen Gerichten insoweit wirksam, als sie zum Vorteil der Partei lauten, die sich darauf beruft.
Unbedingtes Replikrecht (Art. 53 Abs. 3 nZPO)
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum unbedingten Replikrecht wird neu kodifiziert und ergänzt. Das Gericht hat demnach eine Pflicht zur Ansetzung einer Frist von mindestens 10 Tagen für eine Stellungnahme zu Eingaben der Gegenpartei. Nach unbenutztem Fristablauf wird der Verzicht auf Stellungnahme angenommen.
Rechtshängigkeit bei fehlender Zuständigkeit oder falscher Verfahrensart (Art. 63 Abs. 1 nZPO)
Wird eine Eingabe rechtzeitig, aber irrtümlich an ein unzuständiges Gericht eingereicht, besteht neu (dies ist in Art. 143 Abs. 1bis nZPO geregelt, vgl. unten) eine Pflicht des Gerichts, diese Eingabe von Amtes wegen an das zuständige schweizerische Gericht weiterzuleiten. Diese Konstellation wird auch vorliegend aufgenommen. Somit wird auch hierfür die Rechtshängigkeit auf das Datum der ersten Einreichung festgesetzt.
Einfache Streitgenossenschaft (Art. 71 nZPO)
Dieser neu formulierte und strukturierte Artikel kodifiziert die bisherige Rechtsprechung, gemäss der mehrere Personen gemeinsam klagen oder beklagt werden können, sofern
- Rechte und Pflichten beurteilt werden sollen, die auf gleichartigen Tatsachen oder Rechtsgründen beruhen;
- für die einzelnen Klagen die gleiche Verfahrensart anwendbar ist; und
- das gleiche Gericht sachlich zuständig ist.
Grundsätze der Streitverkündungsklage (Art. 81 und Art. 82 Abs. 1 nZPO)
Die streitverkündende Partei kann die Ansprüche, welche sie im Unterliegensfalle gegenüber der streitberufenen Person zu haben glaubt oder die sie von Seiten der streitberufenen Person befürchtet, unter folgenden, neu explizit im Gesetz vorgesehenen und kumulativ erforderlichen Vorausset-zungen beim mit der Hauptklage befassten Gericht geltend machen:
- Die Ansprüche stehen mit der Hauptklage in einem sachlichen Zusammenhang;
- das Gericht ist für die Ansprüche sachlich zuständig; und
- die Hauptklage und die Ansprüche sind im ordentlichen Verfahren zu beurteilen.
Neu wird zudem kodifiziert, dass der Streitwert in der Streitverkündungsklage nicht zu beziffern ist, wenn diese dieselbe Leistung betrifft, zu der die streitverkündende Partei ihrerseits im Hauptverfahren verpflichtet wird.
Unbezifferte Forderungsklage (Art. 85 nZPO)
Neu ist das Gericht bei einer unbezifferten Forderungsklage verpflichtet, der klagenden Partei eine Frist zur Bezifferung der Forderung zu setzen.
Klagenhäufung (Art. 90 Abs. 2 nZPO)
Die objektive Klagenhäufung war bisher nur dann zulässig, wenn das gleiche Gericht dafür sachlich zuständig und die gleiche Verfahrensart anwendbar war. Dies bleibt sich prinzipiell gleich.
Neu können Klagen aber auch dann gehäuft werden, wenn eine unterschiedliche sachliche Zuständig-keit oder Verfahrensart lediglich auf dem Streitwert beruht. Soweit für die gehäuften einzelnen Ansprüche unterschiedliche Verfahren anwendbar sind, so werden sie zusammen im ordentlichen Verfahren beurteilt.
Streitwert der Verbandsklage (Art. 94a nZPO)
Gestützt auf diese neu geschaffene Norm setzt das Gericht den Streitwert einer Verbandsklage ent-sprechend dem Interesse der einzelnen Angehörigen der betroffenen Personengruppe und der Bedeutung des Falles nach Ermessen fest, sofern sich die Parteien darüber nicht einigen oder ihre An-gaben offensichtlich unrichtig sind.
Tarife (Art. 96 nZPO)
Wie bisher kommt den Kantonen die Tarifhoheit zu, wobei nun Art. 16 Abs. 1 SchKG und damit der bundesrechtliche Gebührentarif für Betreibungs- und Konkurssachen explizit vorbehalten ist.
Neu können die Kantone zudem vorsehen, dass die anwaltliche Vertretung einen ausschliesslichen Anspruch auf die Honorare und Auslagen hat, die als Parteientschädigung gewährt werden. Damit sollen allfällige Honorarstreitigkeiten verhindert werden.
Kostenvorschuss (Art. 98 nZPO)
Das Gericht und die Schlichtungsbehörden können neu nur noch höchstens die Hälfte der mutmasslichen Gerichtskosten als Vorschuss verlangen.
Diese neue Regelung gilt jedoch nicht für alle Verfahren. Ausnahmen bestehen für das Verfahren der neu geschaffenen erweiterten internationalen Handelsgerichtsbarkeit, die direkte Klage beim oberen Gericht, das Schlichtungsverfahren, das summarische Verfahren mit Ausnahme der vorsorglichen Massnahmen im Rahmen des Rechtsschutzes in klaren Fällen und der familienrechtlichen Streitigkeiten sowie für Rechtsmittelverfahren.
Verteilung der Prozesskosten (Art. 106 Abs. 2 nZPO)
Neu wird genauer als bisher festgelegt, wie die Prozesskosten zu verteilen sind, wenn auf einer Seite mehrere Parteien an einem Verfahren beteiligt sind. Grundsätzlich sind die Kosten diesfalls nach Massgabe der Beteiligung dieser Parteien zu verteilen. Eine solidarische Haftung kann nur noch bei notwendiger Streitgenossenschaft auferlegt werden.
Liquidation der Prozesskosten (Art. 111 Abs. 1 und 2 nZPO)
Die Gerichtskosten werden mit den geleisteten Vorschüssen der kostenpflichtigen Partei verrechnet; für den Saldo wird entweder ein Fehlbetrag nachgefordert oder ein Überschuss zurückerstattet. Damit tragen neu nicht mehr die Parteien das Inkassorisiko für die Gerichtskosten bzw. das Bonitätsrisiko der Gegenpartei, sondern der Staat.
Umfang der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 118 Abs. 2 nZPO)
Die unentgeltliche Rechtspflege kann – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts – neu auch für die vorsorgliche Beweisführung gewährt werden.
Verfahrenssprache (Art. 129 Abs. 2 nZPO)
Neu kann das kantonale Recht vorsehen, dass in Verfahren nach der ZPO auf Antrag aller Parteien ei-ne andere Landessprache oder bei internationalen handelsrechtlichen Streitigkeiten die englische Sprache verwendet werden kann. Siehe hierzu auch die korrespondierende Anpassung im bundesgerichtlichen Verfahren in Art. 42 Abs. 1bis nBGG (vgl. unten).
Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung (Art. 141a nZPO und Art. 141a nZPO)
Diese neuen Bestimmungen ermöglichen es den Gerichten, auf Antrag oder von Amtes wegen, mündliche Prozesshandlungen per Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen, sofern dem keine über-wiegenden Interessen entgegenstehen. Hierfür werden technische Bedingungen festgelegt, darunter die zeitgleiche Übertragung von Ton und Bild, Datenschutzanforderungen und die Aufzeichnung bestimmter Verhandlungen. Der Bundesrat definiert die genauen technischen und sicherheitsrelevanten Standards.
Fristenlauf beim Empfang einer Sendung an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag (Art. 142 Abs. 1bis nZPO)
Das Gesetz hält neu ausdrücklich fest, dass die Zustellung einer Sendung an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag nicht fristauslösend erfolgt. In dieser Situation gilt die Zustellung als am nächsten Werk-tag erfolgt.
Eingaben an ein unzuständiges Gericht (Art. 143 Abs. 1bis nZPO)
Neu gelten Eingaben, die innert Frist irrtümlich bei einem unzuständigen schweizerischen Gericht eingereicht werden, als rechtzeitig eingereicht. Ist ein anderes Gericht in der Schweiz zuständig, leitet das unzuständige Gericht die Eingabe von Amtes wegen an dieses weiter.
Fristenstillstand in SchKG-Angelegenheiten (Art. 145 Abs. 4 nZPO)
In Klarstellung des bisher vage gehaltenen Gesetzeswortlauts wird neu festgehalten, dass für gerichtliche SchKG-Klagen, nicht aber für SchKG-Aufsichtsbeschwerden, die Fristenstillstandregelung der ZPO gilt.
Rechtsmittel im Wiederherstellungsverfahren (Art. 149 nZPO)
Bislang waren Rechtsmittel im Fristenwiederherstellungsverfahren grundsätzlich ausgeschlossen. In Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird nun festgehalten, dass dies dann nicht der Fall ist, wenn die Verweigerung der Wiederherstellung den definitiven Verlust einer Klage oder eines Angriffsmittels zur Folge hat.
Ausnahme von der Mitwirkungspflicht für Unternehmensjuristen (Art. 167a nZPO)
Für Unternehmensjuristen besteht neu ein besonderes Mitwirkungsverweigerungsrecht im Zivilprozess. Dieses gilt unter der Voraussetzung, dass die betreffende Tätigkeit des Unternehmensjuristen bei einem Anwalt als berufsspezifisch gelten würde, der Leiter des Rechtsdienstes über ein Anwaltspatent verfügt und die Partei als Rechtseinheit im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen ist. Die Unterlagen aus dem Verkehr mit einem unternehmensinternen Rechtsdienst fallen ebenfalls unter den Schutz dieser neuen Bestimmung.
Einvernahme mittels Videokonferenz (Art. 170a nZPO)
Das Gericht kann neu eine Einvernahme von Zeugen mittels Videokonferenz oder ähnlichen technischen Mitteln durchführen. Die Einvernahme wird dabei in Ton und Bild festgehalten.
Protokollierung bei Aufzeichnung (Art. 176a nZPO)
Werden Aussagen während einer Verhandlung aufgezeichnet, war bisher nur geregelt, dass das Gericht darauf verzichten kann, dem Zeugen das Protokoll vorzulesen oder zum Lesen vorzulegen und unterzeichnen zu lassen, und dass die Aufzeichnung zu den Akten genommen wird. Neu gilt explizit auch die Regel, dass das Protokoll nachträglich gestützt auf die Aufzeichnung erstellt werden kann.
Parteigutachten als Urkunde (Art. 177 nZPO)
Gemäss der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts kamen Privat- und Parteigutachten – also Gutachten von sachverständigen Personen, die nicht vom Gericht angeordnet und eingeholt, sondern von einer Partei selbst in Auftrag gegeben werden – keine Beweismittelqualität zu; diese galten lediglich als reine Parteibehauptungen. Neu wird die Urkundenqualität von Privat- und Parteigutachten ausdrücklich im Gesetz verankert. Dadurch stellen Privatgutachten fortan zulässige Beweismittel dar und unterliegen damit der freien Beweiswürdigung des Gerichts.
Aufzeichnung bei mündlichen Gutachten, Parteibefragungen und Beweisaussagen (Art. 187 Abs. 1 und 2 sowie Art. 193 nZPO)
Die oben umschriebenen Neuregelungen in Art. 170a und 176a nZPO gelten sinngemäss auch für die mündliche Erstattung von Gutachten, die Parteibefragung und die Beweisaussage.
Ausnahmen vom Schlichtungsverfahren (Art. 198 Abs. 1 lit. abis, bbis, f, h und i nZPO)
Mit der Revision wird der Katalog der Ausnahmen vom grundsätzlich obligatorischen Schlichtungsverfahren erweitert, das allen Entscheidverfahren vorausgehen soll. Namentlich entfällt fortan das Schlichtungsverfahren zwingend auch bei Klagen über den Unterhalt des Kindes und weitere Kinderbelange sowie bei Klagen vor Bundespatentgericht. Ebenfalls eine Ausnahme vom Schlichtungsobligatorium besteht bei Klagen, die mit einer sachlich zusammenhängenden Klage vereint werden, für deren Anhebung gerichtlich Frist angesetzt wurde. Diese Neuerung führt dazu, dass die in der Praxis bedeutsame Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts nach dessen vorläufiger Eintragung fortan gemeinsam mit der sachlich zusammenhängenden Leistungsklage erhoben werden kann.
Verzicht auf das Schlichtungsverfahren (Art. 199 Abs. 3 nZPO)
Neu ist das Schlichtungsverfahren fakultativ, wenn eine einzige kantonale Instanz zuständig ist. Folg-lich kann – es besteht ein Wahlrecht – fortan auch bei handelsrechtlichen Streitigkeiten ein Schlich-tungsverfahren durchgeführt werden.
Diese verfahrensmässige Erleichterung bringt insbesondere weitergehende Möglichkeiten zur Unterbrechung der Verjährung gegenüber Parteien, die nicht in der Schweiz betrieben werden können.
Persönliche Erscheinungspflicht (Art. 204 Abs. 1 und Abs. 3 lit. d nZPO)
In Kodifizierung der Rechtsprechung wird neu ausdrücklich festgehalten, dass für juristische Personen entweder ein Organ oder eine Person zur Schlichtungsverhandlung erscheinen muss, die mit einer kaufmännischen Handlungsvollmacht ausgestattet, zur Prozessführung sowie zum Abschluss eines Vergleichs befugt und mit dem Streitgegenstand vertraut ist.
Zudem muss eine Partei fortan dann nicht persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen und kann sich stattdessen vertreten lassen, wenn sie eine von mehreren klagenden oder beklagten Parteien ist und eine dieser Parteien anwesend sowie befugt ist, die andere klagende oder beklagte Partei zu vertreten und einen Vergleich in deren Namen abzuschliessen.
Säumnis im Schlichtungsverfahren (Art. 206 Abs. 4 nZPO)
Angesichts der Bedeutung der persönlichen Anwesenheit der Konfliktbeteiligten für die Schlichtungsverhandlung und deren vordringliches Ziel der Schlichtung statuiert die ZPO eine grundsätzliche Teilnahmepflicht der Parteien. Neben den Säumnisfolgen kann eine säumige (klägerische oder beklagte) Partei neu mit einer Ordnungsbusse von bis zu CHF 1'000.- bestraft werden.
Entscheidvorschlag der Schlichtungsbehörde (Art. 210 Abs. 1 lit. c nZPO)
Bislang konnten die Schlichtungsbehörden den Parteien in anderen als das Gleichstellungsgesetz und gewissen das Mietrecht betreffenden vermögensrechtlichen Angelegenheiten mit einem Streitwert von bis zu CHF 5‘000.- einen Entscheidvorschlag unterbreiten.
Neu wird in diesen Fällen ein Entscheidvorschlag bis zu einem Streitwert von CHF 10‘000.- möglich sein. Unverändert bleibt hingegen die Entscheidbefugnis der Schlichtungsbehörden bis zu einem Streitwert von CHF 2'000.- (Art. 212 ZPO).
Widerklage (Art. 224 Abs. 1bis nZPO)
Eine Widerklage ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn sie im gleichen Verfahren wie die Hauptklage zu behandeln ist. Neu ist sie aber auch dann zulässig und zusammen mit der Hauptklage im ordentlichen Verfahren zu beurteilen, wenn
(1) der widerklageweise geltend gemachte Anspruch lediglich aufgrund des Streitwerts im verein-fachten Verfahren, die Hauptklage aber im ordentlichen Verfahren zu beurteilen ist; oder
(2) mit der Widerklage im ordentlichen Verfahren auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechts oder Rechtsverhältnisses geklagt wird, nachdem mit der Hauptklage nur ein Teil eines Anspruchs aus diesem Recht oder Rechtsverhältnis eingeklagt wurde und für diese Hauptklage lediglich aufgrund des Streitwerts das vereinfachte Verfahren Anwendung findet.
Novenrecht (Art. 229 nZPO)
Hat lediglich ein Schriftenwechsel und keine Instruktionsverhandlung stattgefunden, können neue Tatsachen und Beweismittel fortan unbeschränkt im ersten Parteivortrag vorgebracht werden. Damit entfällt der von der Rechtsprechung kreierte umständliche Novenvortrag.
Nach dem Fall der Novenschranke waren Tatsachen, die (a) erst nach Abschluss des Schriftenwechsels oder nach der letzten Instruktionsverhandlung entstanden sind (echte Noven) oder (b) bereits vor Abschluss des Schriftenwechsels oder vor der letzten Instruktionsverhandlung vorhanden waren, aber trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten (unechte Noven), bislang ohne Verzug einzureichen. Fortan sind solche Noven innerhalb einer vom Gericht festgelegten Frist oder – bei Fehlen einer solchen Frist – spätestens bis zum ersten Parteivortrag in der Hauptverhandlung vorzubringen. Nach den ersten Parteivorträgen werden echte und unechte Noven nur noch berücksichtigt, wenn sie in der vom Gericht festgelegten Frist oder, bei Fehlen einer solchen Frist, spätestens in der nächsten Verhandlung vorgebracht werden.
Eröffnung von Entscheiden (Art. 238 lit. g und Art. 239 Abs. 1 nZPO)
In Präzisierung der bisherigen Formulierung enthält ein Entscheid neu gegebenenfalls nur noch die wesentlichen Entscheidgründe tatsächlicher und rechtlicher Art. Zudem wird die Entscheideröffnung ohne schriftliche Begründung zum Regelfall erhoben, und das Dispositiv ist den Parteien zeitnah zuzustellen.
Katalog der Summarsachen (Art. 249 lit. a Ziff. 5, Art. 250 lit. c Ziff. 6, 11 und 16 sowie Art. 251 nZPO)
Die Kataloge der Summarsachen aus ZGB, OR und SchKG werden leicht angepasst. Neu sind auch alle Gesuche infolge Organisationsmängel eines Vereins oder einer Gesellschaft sowie Gesuche von Gesellschaftern oder Gläubigern gegen eine Löschung einer Rechtseinheit mangels Aktiven und Aktivitäten im summarischen Verfahren zu beurteilen. Zudem sind die summarisch zu führenden SchKG-Verfahren inhaltlich unverändert, aber neu abschliessend aufgelistet.
Massnahmen gegen Medien (Art. 266 lit. a nZPO)
Das gesetzgeberische Versehen, beim Erlass der ZPO Massnahmen gegen periodisch erscheinende Medien nur für drohende, nicht aber bestehende Verletzungen vorzusehen, wird korrigiert.
Verfahren der Scheidungsklage (Art. 288 Abs. 2 und Art. 291 nZPO)
Finden die Parteien keine Einigung über den Scheidungsgrund oder die Scheidungsnebenfolgen, kommt es zu einem kontradiktorischen Verfahren. Nach bisher geltendem Recht war dieses im ordentlichen Verfahren und somit grundsätzlich schriftlich durchzuführen. Neu gilt für das Scheidungsklageverfahren oder das Verfahren über die Nebenfolgen das vereinfachte Verfahren. Somit kann es grundsätzlich mündlich oder auch schriftlich durchgeführt werden, womit den Umständen des konkreten Falls besser Rechnung getragen werden kann.
Verfahren bei selbständigen Klagen über Kinderbelange (Art. 295 nZPO)
Neu ist für sämtliche selbständigen Klagen über Kinderbelange und den Unterhalt von Kindern – auch für diejenigen eines volljährigen Kindes oder diejenigen des Gemeinwesens auf Verwandtenunterstützung – das vereinfachte Verfahren anwendbar.
Persönliche Kindesanhörung (Art. 298 nZPO)
Nachdem das Gesetz an verschiedenen anderen Stellen neu den Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung vorsieht, schliesst es hier diese Möglichkeit für die Kindesanhörung ausdrücklich aus.
Unterhalts- und Vaterschaftsklage (Art. 304 Abs. 2 nZPO)
Das Gesetz regelt neu gewisse prozessuale Details zur Vereinfachung des Verfahrens in Fällen, in denen das Gericht sowohl zur Beurteilung der Unterhalts- oder Vaterschaftsklage als auch zur annex-weisen Regelung der Kinderbelange – insbesondere in Bezug auf die elterliche Sorge und die Betreuung – zuständig ist. In diesen Fällen der Kompetenzattraktion haben die Eltern stets Parteistellung im Verfahren, wenn das Kindesverhältnis feststeht.
Wegfall der Anschlussberufung bei offensichtlich unbegründeten Berufungen (Art. 313 Abs. 2 nZPO)
Die bisherige Bestimmung, wonach die Anschlussberufung dahinfällt, wenn die Berufung als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, wird aufgehoben.
Berufung gegen familienrechtliche Entscheide im summarischen Verfahren (Art. 314 Abs. 2 nZPO)
Grundsätzlich ist zu einer Berufung gegen einen im summarischen Verfahren ergangenen Entscheid keine Anschlussberufung zulässig. Im Sinne einer Gegenausnahme ist neu in familienrechtlichen Streitigkeiten, die dem summarischen Verfahren unterstehen – das sind eherechtliche Verfahren wie insbesondere das Eheschutzverfahren oder Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsverfahren sowie bestimmte Verfahren der Kinderbelange und betreffend die eingetragene Partnerschaft – die Anschlussberufung zulässig. Gerade in komplexen und umstrittenen Eheschutzsachen soll damit künftig verhindert werden, dass vorsorglich nur aus prozesstaktischen Gründen die selbständige Berufung erhoben wird.
Zudem beträgt die Frist für Beschwerden gegen summarische Entscheide in familienrechtlichen Streitigkeiten neu dreissig statt wie bisher zehn Tage.
Aufschiebende Wirkung der Berufung (Art. 315 Abs. 2, 4 und 5 nZPO)
Der Katalog über Entscheide, bei denen die Berufung keine aufschiebende Wirkung entfaltet, wird um zwei weitere Bestimmungen erweitert. Neu werden die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit auch von Entscheiden, welche Anweisungen an einen Schuldner oder die Sicherstellung des Unterhalts betreffen, durch eine Berufung nicht aufgeschoben.
Die Erteilung und der Entzug der vorzeitigen Vollstreckbarkeit sind neu explizit nur auf Gesuch hin möglich. Bei Entzug der vorzeitigen Vollstreckbarkeit sind keine sichernden Massnahmen oder Sicherheitsleistungen mehr anzuordnen. Zudem ist der Entscheid über die vorzeitige Vollstreckbarkeit bereits vor der Einreichung der Berufung möglich.
Novenrecht (Art. 317 Abs. 1bis nZPO)
In Verfahren mit uneingeschränktem Untersuchungsgrundsatz können die Parteien im Berufungsverfahren neu unlimitiert bis zur Urteilsberatung neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen. Damit wird die bundesgerichtliche Rechtsprechung kodifiziert.
Begründung von Berufungsentscheiden (Art. 318 Abs. 2 nZPO)
Die Bestimmung, nach der eine Berufung schriftlich zu begründen ist, wird aufgehoben. Damit steht dem Berufungsgericht – wie dem erstinstanzlichen Gericht – die Möglichkeit offen, den Entscheid nur im Dispositiv zu verschicken. Nach dessen Erhalt können die Parteien jedoch auch vor zweiter Instanz eine schriftliche Begründung verlangen.
Aufschiebende Wirkung der Beschwerde (Art. 325 Abs. 2 nZPO)
Auf Gesuch hin kann die Vollstreckbarkeit durch die Beschwerdeinstanz aufgeschoben werden, wenn einer der betroffenen Parteien ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht. Die Beschwerdeinstanz kann bereits vor Beschwerdeeinreichung hierüber entscheiden.
Begründung von Beschwerdeentscheiden (Art. 327 Abs. 2 nZPO)
Diese Anpassung erfolgt analog zu Art. 318 nZPO.
Erweiterung der Revisionsgründe (Art. 328 Abs. 1 lit. d nZPO)
Neu kann die Revision eines rechtskräftigen Entscheids verlangt werden, wenn eine Partei einen Ausstandsgrund erst nach Abschluss des Verfahrens entdeckt und kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht. Eine entsprechende Anpassung des Gesetzes erfolgt auch bei der Bestimmung zum Ausstand (Art. 51 Abs. 3 nZPO).
Vollstreckbarkeit eines unbegründet eröffneten Entscheids (Art. 336 Abs. 3 nZPO)
Mit der Revision wird neu ausdrücklich festgehalten, dass ein ohne schriftliche Begründung eröffneter Entscheid unter denselben Voraussetzungen wie ein schriftlich begründeter Entscheid vollstreckbar ist. Somit sind unbegründete erstinstanzliche Entscheide unter Umständen sofort mit Dispositiveröffnung vollstreckbar.
Identische Klagen bei Schiedsgericht und dem staatlichen Gericht (Art. 372 Abs. 2 nZPO)
Sofern bei einem staatlichen Gericht und einem Schiedsgericht Klagen über denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien rechtshängig gemacht werden, hatte das zuletzt angerufene Gericht das Verfahren unter bisherigem Recht auszusetzen, bis das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hatte. Dieser Passus wird neu ersatzlos gestrichen. Die Rechtslage wird neu wie folgt geklärt:
Ein Binnenschiedsgericht muss das Schiedsverfahren nicht mehr automatisch sistieren, bis ein staatliches Gericht in der Schweiz über seine Zuständigkeit befunden hat. Vielmehr kann das Schiedsgericht direkt die Zuständigkeitsfrage und damit seine eigene Zuständigkeit abschliessend prüfen und das Schiedsverfahren gegebenenfalls weiterführen. Für das staatliche schweizerische Gericht dürfte sich nach Ansicht des Bundesrats nichts ändern, nachdem es sich ohnehin nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen für zuständig erklären dürfte.
Informationen zu den Prozesskosten (Art. 400 Abs. 2bis und 3 nZPO)
Der Bundesrat stellt der Öffentlichkeit Informationen zu den Prozesskosten, Möglichkeiten der unentgeltlichen Rechtspflege sowie der Prozessfinanzierung zur Verfügung. Er kann diese Aufgabe an das Bundesamt für Justiz übertragen. Dieses kann auch administrative und technische Vorschriften erlassen.
Statistik und Geschäftszahlen (Art. 401a nZPO)
Bund und Kantone sorgen gemeinsam mit den Gerichten dafür, dass genügende statistische Grundlagen und Geschäftszahlen über die massgeblichen Kennzahlen der praktischen Anwendung der ZPO, insbesondere Anzahl, Art, Materie, Dauer und Kosten für alle Verfahren vorliegen.
Grundsätzliches zu geschlossenen Zeiten, Betreibungsferien und Rechtsstillstand (Art. 56 Abs. 2 nSchKG)
Neu wird – dies als Korrelat zu Art. 145 Abs. 4 nZPO – klargestellt, dass für Klagen nach dem SchKG, die vor einem Gericht einzureichen sind, ausschliesslich die Bestimmungen der ZPO über den Stillstand der Fristen anwendbar sind.
Englischsprachige Rechtsschriften vor Bundesgericht (Art. 42 Abs. 1bis nBGG)
Korrespondierend zum neuen Art. 129 Abs. 2 ZPO wird Art. 42 BGG um den Absatz 1bis ergänzt. Da-nach können Rechtsschriften vor Bundesgericht in Englisch abgefasst werden, sofern eine Zivilsache vor der Vorinstanz in englischer Sprache geführt wurde. Entscheide ergehen aber auch zukünftig stets in einer Amtssprache.
Internationale Handelsstreitigkeiten (Art. 5 Abs. 3 lit. c nIPRG)
Passend zur Einführung der Möglichkeit der Schaffung der erweiterten Handelsgerichtsbarkeit in internationalen Verhältnissen sieht nun auch das IPRG vor, dass das in diesem Rahmen angerufene Gericht seine Zuständigkeit nur ablehnen darf, wenn das anwendbare kantonale Gesetz dies vorsieht. Dasselbe gilt für eine Klage, die nach Art. 8 ZPO direkt an das obere kantonale Gericht gerichtet wird.
Zur Vertiefung der mit diesem Thema verbundenen Fragen stehen Ihnen die Autoren sowie die anderen Mitglieder des auf Prozessrecht spezuielisieten Teams gerne zur Verfügung.