Wegfall der Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Coronakrise per 19. Oktober 2020
Am 20. April 2020 trat die Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Coronakrise (COVID-19 Verordnung Insolvenzrecht) in Kraft. Die COVID-19 Verordnung Insolvenzrecht gilt für die Dauer von 6 Monaten. In seiner Sitzung vom 14. Oktober 2020 hat der Bundesrat beschlossen, die Geltungsdauer der Verordnung nicht zu verlängern; die Gültigkeit der COVID-19 Verordnung Insolvenzrecht endet damit am Montag, 19. Oktober 2020 (lesen Sie mehr). Nicht betroffen vom Ende der Gültigkeit der COVID-19 Verordnung Insolvenzrecht ist die Regelung, wonach der sog. «COVID-19-Kredit» (nicht aber der «COVID-19-Kredit plus») bei der Berechnung einer Überschuldung bis zum 31. März 2022 nicht als Fremdkapital berücksichtigt wird.
Nebst anderem hat die COVID-19 Verordnung Insolvenzrecht eine weitgehende Aussetzung der Pflicht des Leitungsorgans einer Gesellschaft zur Überschuldungsanzeige im Falle einer Überschuldung vorgesehen. Dies hatte zur Folge, dass trotz Corona Pandemie seit April 2020 im Vergleich zu den Vorjahren im Verhältnis weniger Insolvenzen verzeichnet wurden. Infolge des Wiederauflebens der Pflicht zur Überschuldungsanzeige wird damit gerechnet, dass in den kommenden Monaten vermehrt Insolvenzmeldungen erfolgen werden.
Im Folgenden wird in aller Kürze auf die Pflichten und Möglichkeiten des Leitungsorgans im Falle einer Überschuldung eingegangen, die ab dem 20. Oktober 2020 bestehen (zur Situation unter Geltung der COVID-19 Verordnung Insolvenzrecht, vgl. hier).
Gemäss Art. 725 OR muss, wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht, eine Zwischenbilanz erstellt werden, und diese muss von einem zugelassenen Revisor geprüft werden. Bestätigt sich die Überschuldung in der Zwischenbilanz, so ist der Richter zu benachrichtigen. Die Verantwortlichkeit für die Erstellung der Zwischenbilanz wie auch für die Benachrichtigung des Richters liegt beim Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft bzw. beim Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Subsidiär ist die Revisionsstelle zur Benachrichtigung des Richters verpflichtet (Art. 728c OR). Ein Verstoss gegen die Pflichten gemäss Art. 725 OR kann zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des Leitungsorgans führen; in Ausnahmesituationen ist auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit denkbar.
Der Verwaltungsrat (bzw. der Geschäftsführer) ist zum Handeln verpflichtet, wenn «eine begründete Besorgnis einer Überschuldung» besteht. Eine allgemeingültige Definition, wann eine entsprechende Besorgnis vorliegt, existiert nicht. In der Praxis können beispielsweise die folgenden Ereignisse zu einer «begründeten Besorgnis einer Überschuldung» führen:
- Jahres- oder Zwischenbilanz zu Fortführungswerten weisen eine Überschuldung aus;
- Andauernde Verlustausweise in den Zwischenabschlüssen;
- Ausserordentliche Ereignisse während des Geschäftsjahres, die zu grösserem Abschreibungs- oder Rückstellungsbedarf führen;
- Unternehmensfortführung über die nächsten 12 Monate scheint unsicher;
- Bestehende oder sich abzeichnende Illiquidität.
Weist die infolge der «begründeten Besorgnis einer Überschuldung» erstellte Zwischenbilanz eine Überschuldung zu Fortführungs- und Liquidationswerten aus, so verbleiben dem Leitungsorgan ab dem 20. Oktober 2020 die folgenden Möglichkeiten:
1. Privatrechtliche Sanierung (aussergerichtliches Sanierungsverfahren)
Gemäss ständiger Gerichtspraxis muss das Leitungsorgan nicht unmittelbar nach Vorliegen der die Überschuldung ausweisenden Zwischenbilanz den Richter benachrichtigen. Vielmehr verbleibt eine kurze Frist (regelmässig 4 bis 6 Wochen), um die Überschuldung zu beseitigen. Gelingt dies, kann auf die Benachrichtigung des Richters verzichtet werden.
Übliche privatrechtliche Sanierungsmassnahmen (oftmals in Kombination) sind beispielsweise betriebliche Massnahmen zur Ertragssteigerung bzw. Kostensenkung, Devestitionen, Auflösung stiller Reserven, Aufwertung von Beteiligungen und Grundstücken, Kapitalerhöhungen und/oder –herabsetzungen, A-fonds-perdu-Beiträge, Stillhalteabkommen, Überbrückungskredite, Rangrücktritte, Forderungsverzichte etc.
Der Vorteil der privatrechtlichen Sanierung liegt darin, dass sie ausserhalb des Konkurs- und Nachlassverfahrens erfolgt und damit das Vermögen der Gesellschaft regelmässig optimal erhält. Die privatrechtliche Sanierung hat sodann keine oder nur bescheidene Publizität.
Die Nachteile der privatrechtlichen Sanierung liegen darin, dass kein Schutz vor Betreibungen besteht, dass kein Zwang zur Teilnahme besteht (d.h. die Massnahmen basieren auf Freiwilligkeit), und dass die privatrechtliche Sanierung keinen Schutz vor Verantwortlichkeit oder Anfechtung bietet.
In der Praxis versuchen die Leitungsorgane in einem ersten Schritt regelmässig, eine Überschuldung durch privatrechtliche Sanierungsmassnahmen zu beseitigen. Nur wenn diese Bestrebungen scheitern, werden andere Möglichkeiten ins Auge gefasst. Dieses Vorgehen birgt Risiken, sowohl für das Unternehmen wie auch für das Leitungsorgan. Es wird deshalb empfohlen, bereits im Stadium der privatrechtlichen Sanierungsbestrebungen auf fachkundige Beratung zurückzugreifen.
2. Nachlassverfahren (gerichtliches Sanierungsverfahren)
Kann ein Unternehmen nicht auf privatrechtliche Weise saniert werden, kann es ein Nachlassverfahren durchführen. Die Durchführung eines Nachlassverfahrens ist beim Gericht zu beantragen. Vorzulegen ist insbesondere ein Sanierungsplan sowie Unterlagen zur finanziellen Situation des Unternehmens (inkl. Liquiditätsplan). Der Antrag auf Durchführung eines Nachlassverfahrens wird durch den Richter bewilligt, sofern nicht offensichtlich keine Aussicht auf Sanierung oder den Abschluss eines Nachlassvertrags besteht. Das Ziel eines Nachlassverfahrens ist die Fortführung des betroffenen Unternehmens oder zumindest seines Geschäftsbetriebs. Dies im Gegensatz zum Konkurs, wo das Unternehmen liquidiert und der Geschäftsbetrieb regelmässig (sofort) eingestellt wird.
Das Nachlassverfahren verschafft dem Unternehmen Zeit zur Sanierung oder zur Vorbereitung eines Nachlassvertrags. Dazu wird dem Schuldner eine bis zu 24 Monate dauernde Nachlassstundung gewährt. In dieser Zeit ist der Schuldner geschützt vor Betreibungen, Arresten und (anderen) Sicherungsmassnahmen. Ausserdem werden laufende Zivil- und Verwaltungsverfahren sistiert, Verwirkungs- und Verjährungsfristen stehen still und es besteht die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen Dauerschuldverhältnisse aufzulösen.
Mit dem Antrag auf Gewährung einer Nachlassstundung ist das Leitungsorgan seinen Pflichten nach Art. 725 OR nachgekommen. Ab diesem Zeitpunkt besteht somit keine Gefahr einer straf- oder zivilrechtlichen Verantwortlichkeit infolge der Verletzung der Pflichten gemäss Art. 725 OR mehr.
Da die gesetzliche Regelung des Nachlassverfahrens sehr offen formuliert ist, kann im Nachlassverfahren praktisch jede Lösung verwirklicht werden, die auch in einem privatrechtlichen Nachlass verwirklicht werden kann. Wird beabsichtigt, den Geschäftsbetrieb im bisherigen Rechtsträger weiter zu führen, so erfolgt dies regelmässig über den Abschluss eines ordentlichen Nachlassvertrags, mit dem die Gläubiger auf Teile ihrer Forderung verzichten (sog. Prozentvergleich) und/oder ihre Forderungen stunden (Stundungsvergleich). Kommt ein ordentlicher Nachlassvertrag zu Stande, so kann das Leitungsorgan auch für Handlungen vor dem Begehren auf Nachlassstundung nicht verantwortlich gemacht werden. Der Abschluss eines ordentlichen Nachlassvertrags ist deshalb ein für das Leitungsorgan besonders erstrebenswertes Ergebnis eines Nachlassverfahrens. Wird demgegenüber beabsichtigt, den Geschäftsbetrieb nicht in der bisherigen Struktur, sondern in einer neuen Gesellschaft weiter zu führen, so erfolgt dies regelmässig über einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Der (laufende) Geschäftsbetrieb wird dabei auf einen neuen Rechtsträger überführt. Der Kaufpreis verbleibt im bisherigen Rechtsträger, der in der Folge liquidiert wird. Der Liquidationserlös steht den Gläubigern des bisherigen Rechtsträgers zu (so wurde z.B. mit den ehemaligen Swissair-Gesellschaften verfahren). In jüngster Zeit vermehrt zu beobachten sind sodann sog. Pre-Pack Deals. Dabei wird ein Nachlassverfahren nur zur Umsetzung bzw. zum Vollzug einer vordefinierten Rechtshandlung (z.B. Verkauf eines Betriebsteils) gewährt. Dies im Wissen darum, dass das Nachlassverfahren später abgebrochen und über den Schuldner der Konkurs eröffnet wird. Der Vorteil eines Pre-Pack Deals ist, dass dieser, im Gegensatz zum Verkauf ausserhalb eines Nachlassverfahrens, nicht angefochten werden kann. Zudem ist die Durchführung eines Nachlassverfahrens mit dem Ziel eines Pre-Pack Deals regelmässig günstiger als die Durchführung eines «normalen» Nachlassverfahrens.
Wird eine Unternehmenssanierung über einen Nachlassvertrag angestrengt, so genügt die Zustimmung von 50% der Gläubiger, die 2/3 des Gesamtforderungsbetrages repräsentieren (oder 25% der Gläubiger, die 3/4 des Gesamtforderungsbetrags repräsentieren), um auch die anderen Gläubiger zur Teilnahme am Nachlassvertrag zu zwingen. Dies im Gegensatz zu einer Unternehmenssanierung ausserhalb eines Nachlassverfahrens, die auf ein freiwilliges Entgegenkommen der Gläubiger angewiesen ist.
Der Nachteil eines Nachlassverfahrens sind die regelmässig nicht zu vernachlässigenden Kosten. Zudem sind verschiedene Handlungen nur noch mit Zustimmung des Sachwalters und/oder des Richters zulässig. Dies führt zu einem gewissen Kontrollverlust, allerdings entfällt damit diesbezüglich auch die Verantwortlichkeit und Haftbarkeit des Leitungsorgans.
Das Nachlassverfahren ist ein mächtiges Instrument zur Unternehmenssanierung. Die Vorteile dieses Verfahrens überwiegen seine Nachteile, insbesondere die Kostenfolgen, regelmässig bei weitem. Erscheint eine privatrechtliche Sanierung als unsicher oder schwierig, so ist es dringend zu empfehlen, zu prüfen, ob das Unternehmen oder zumindest dessen Geschäftsbetrieb in einem Nachlassverfahren gerettet werden kann. Da das Bereitstellen der für das Gesuch um Nachlassstundung notwendigen Unterlagen und Erklärungen eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, sollte die Planung eines allfälligen Nachlassverfahrens möglichst früh an die Hand genommen werden.
3. Konkursaufschub
Das Leitungsorgan kann seinen Pflichten nach Art. 725 OR auch durch den Antrag auf Konkursaufschub gemäss Art. 725a OR nachkommen. Dem Konkursaufschub kommt neben dem Nachlassverfahren aber kaum noch eine praktische Bedeutung zu. Nur in Ausnahmefällen wird heute zum Mittel des Konkursaufschubs gegriffen (etwa wenn das Unternehmen, z.B. ein Sportverein, über Bewilligungen oder Konzessionen verfügt, die bei Einleitung eines Konkurs- oder Nachlassverfahrens, nicht aber bei einem Konkursaufschub entzogen werden).
4. Konkurs
Als ultima ratio kann das Leitungsorgan seinen Pflichten nach Art. 725 OR auch durch den Antrag auf Konkurseröffnung beim Gericht nachkommen. Anders als in einem Nachlassverfahren steht beim Konkursverfahren die Liquidation des Unternehmens und die Versilberung seiner Vermögenswerte zur Befriedigung der Gläubiger im Vordergrund. Der Betrieb des Unternehmens wird in aller Regel nicht fortgesetzt, was zu sehr grosser Wertminderung führen kann.
Im Vergleich zur privatrechtlichen Sanierung und zum Nachlassverfahren stellt der Konkurs damit regelmässig die schlechteste Lösung dar, sowohl für die Gläubiger wie auch für das betroffene Unternehmen samt Arbeitnehmer und Leitungsorgan.
Das rechtlich korrekte und ökonomisch sinnvollste Vorgehen für ein überschuldetes Unternehmen ist nicht einfach zu bestimmen. Es gilt immer, den Einzelfall zu beachten und die Auswirkungen der möglichen Vorgehensweisen auf die Involvierten (das Unternehmen, das Leitungsorgan, die Arbeitnehmer, die Gläubiger, Dritte) gegeneinander abzuwägen. Wir verfügen über langjährige Erfahrung mit Unternehmen in Krisensituationen, im Sanierungs- und insbesondere im Nachlassverfahren. Bei Fragen oder für eine Beratung stehen wir gerne zur Verfügung.