Gaudenz Geiger10.06.2020

Vernehmlassung zum Gasversorgungsgesetz

Heute ist der Gasmarkt in der Schweiz gesetzlich kaum geregelt. Einzig im Rohrleitungsgesetz wurden die Schweizer Erdgasnetzbetreiber durch eine rudimentäre gesetzliche Regelung verpflichtet, Dritten Netzzugang zu gewähren. Seit dem 1. Oktober 2012 wird der Netzzugang zum Erdgasnetz durch die sog. Verbändevereinbarung auf privatrechtlicher Basis geregelt. Bis heute ist aber unklar, ob die Verbändevereinbarung vollumfänglich mit dem Kartellgesetz vereinbar ist. Eine entsprechende Untersuchung wurde von der Wettbewerbskommission im Januar 2019 eröffnet. Mit der Schaffung eines Gasversorgungsgesetzes (GasVG) soll nun für Rechtssicherheit gesorgt werden. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 30. Oktober 2019 die Vernehmlassung zum Gasversorgungsgesetz beschlossen; diese läuft bis zum 14. Februar 2020.

Mit dem GasVG soll die Grundlage für eine geordnete Marktöffnung geschaffen werden. Insbesondere soll Grosskunden ein diskriminierungsfreier Zugang zum Gasnetz ermöglicht werden.

Wie dies bereits das Stromversorgungsgesetz (StromVG) bei der Liberalisierung des Strommarktes tat, sieht das GasVG eine Teilmarktöffnung vor. Dies erfolgt im Gegensatz zur Regelung in der EU, wo mit dem zweiten Energie-Binnenmarktpaket der Markt für sämtliche Endverbraucher geöffnet wurde (heute gilt das dritte Energie-Binnenmarktpaket). Der heutige Entwurf zum GasVG ist mit anderen Worten nicht europarechtskompatibel, was problematisch wird, falls dereinst wie im Strombereich der Abschluss eines bilateralen Gasabkommens mit der EU angestrebt würde. Erwähnenswert ist sodann, dass im Gasmarkt in der Schweiz kein Übergang von der Teilmarktöffnung in die Vollmarktöffnung vorgesehen ist. Dies stellt eine Abweichung zum Vorgehen im Strommarkt dar.

In der Schweiz soll der Gasmarkt für Kunden mit einem jährlichen Verbrauch von mindestens 100 Megawattstunden (MWh) geöffnet werden. Solche Endverbraucher erhalten mit dem GasVG Netzzugang, also die Möglichkeit, ihren Gaslieferanten frei zu wählen. Endverbraucher, die vom ihnen zustehenden Anspruch auf Netzzugang keinen Gebrauch machen, werden von ihrem bisherigen Lieferanten weiter versorgt. Endverbraucher ohne Netzzugang (also mit einem Jahresverbrauch unter 100 MWh) werden durch den lokalen Netzbetreiber zu angemessenen und geprüften Gastarifen (der sog. regulierten Versorgung) beliefert.

Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch über 100 MWh, die keinen Gebrauch vom Netzzugang machen, haben aber kein Anrecht, im Rahmen der regulierten Versorgung beliefert zu werden. Dieser Entscheid des Gesetzgebers zeigt, dass eraus der Liberalisierung des Strommarktes Lehren gezogen hat. Gemäss StromVG konnten marktberechtigte Endverbraucher wählen, ob sie den Strom im Markt zu Marktpreisen oder im regulierten Bereich in der sog. Grundversorgung beziehen wollten. Dies führte zur unbeabsichtigten Situation, dass Grossverbraucher, die bereits vor Inkrafttreten des StromVG Elektrizität auf dem freien Markt beschafften, im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes in die Grundversorgung (regulierter Bereich) wechseln konnten und damit den Markt, der eigentlich geschaffen bzw. gefördert werden sollte, wieder verliessen. Verstärkt wurde dieser Trend dadurch, dass auf Verordnungsstufe eine Regelung bestand, wonach sich der Grundversorgungstarif nur solange an den tatsächlichen Gestehungskosten orientierte, als nicht der Marktpreis unter dem Grundversorgungstarif lag. Dieser Fehler wird im Entwurf des GasVG nicht wiederholt.

Der Gesetzesentwurf sieht weiter vor, dass vertikal integrierte Unternehmen zu entflechten sind. Namentlich soll im Rahmen einer buchhalterischen Entflechtung (sog. accounting unbundling) und informationelle Entflechung (sog. informational unbundling) der Monopolbereich (i.c. Netzbetrieb, regulierte Versorgung, Ersatzversorgung) von den Aktivitäten im Markt entkoppelt werden. Auf eine eigentumsrechtliche Entflechtung des Transportnetzes wird verzichtet. Das Transportnetz wird aber künftig durch einen (neu zu schaffenden, unabhängigen und privatrechtlich organisierten) Marktgebietsverantwortlichen betrieben. Auch dieser Ansatz ist anders als der bei der Liberalisierung des Strommarktes. Dort fand eine Eigentumsentflechtung (sog. ownership unbundling) des Übertragungsnetzes (Überführung auf die Swissgrid) sowie eine zumindest buchhalterische Entflechtung des Verteilnetzbereichs vom übrigen Geschäftsbetrieb statt – auf ein Unbundling des Monopolbereichs (insb. der Grundversorgung) vom Marktbereich wurde aber verzichtet. Der im Entwurf des GasVG vorgesehene Ansatz erscheint plausibel, muss seine Praxistauglichkeit aber erst noch beweisen. Zumindest wird damit (vermutlich) die im Strommarkt herrschende Problematik der Partizipation der Grundversorgungstarife am Markterfolg adressiert und dürfte im Gasmarkt nicht bestehen.

Vorgesehen ist im Entwurf des GasVG ferner, für die Buchung von Kapazitäten und den Gastransport ein Entry-Exit-System (EES) zu schaffen, was dem in der EU verbreiteten Standard entspricht. Der Vorteil des EES liegt darin, dass künftig für den Gastransport nur noch zwei Verträge notwendig sind, um das Gas durch das gesamte Marktgebiet zu liefern – ein Vertrag am Einspeisepunkt (Entry) und ein Vertrag am Ausspeisepunkt (Exit).

Gemäss dem GasVG wird es neu nur noch eine Bilanzzone geben (heute sechs), die dem Marktgebiet entspricht. Diese wird durch den neu zu schaffenden Marktgebietsverantwortlichen betrieben. Es handelt sich dabei um einen bereits im Strommarkt bewährten Ansatz, wo die Regelzone Schweiz (als Pendant zur Bilanzzone im Gasmarkt) durch die Swissgrid betrieben wird.

Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) amtet heute schon als Regulator im Strombereich. Künftig soll die ElCom auch für die Gasversorgung zuständig sein. Dies entspricht der Funktionsaufteilung in den meisten Staaten der EU. Die ElCom wird zu diesem Zweck umbenannt in Eidgenössische Energiekommission EnCom. Im Gasbereich soll ihr die Aufsicht über die Netznutzungstarife und über die Messtarife obliegen. Zudem behandelt und beurteilt sie Streitfälle. Die Ausweitung der Kompetenzen der ElCom auf den Gasbereich ist zu begrüssen. Die Behörde verfügt über einen grossen Erfahrungsschatz im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Strommarktes und wird die dortigen Lehren auf den Gasmarkt übertragen können. Überdies hat sich die ElCom in der Vergangenheit durch überlegtes, vorausschauendes und pragmatisches Handeln ausgezeichnet, und es ist zu hoffen, dass diese Vorgehensweise auch im Gasmarkt beibehalten wird.

Es ist zu begrüssen, dass der Schweizer Gasmarkt nun auch auf Gesetzesstufe geöffnet werden soll. Die interessierten Kreise sind gehalten, die heute publizierten Vernehmlassungsunterlagen zu studieren und sich einzubringen. Die Liberalisierung des Strommarktes in der Schweiz verlief nicht in allen Belangen reibungslos. Es gilt sicherzustellen, dass die Erkenntnisse aus der Strommarktliberalisierung bei der Liberalisierung des Gasmarktes und der Gestaltung der gesetzlichen Grundlagen Berücksichtigung finden.

Bei Fragen um die Liberalisierung des Gasmarktes stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Durch unsere langjährige Erfahrung im Strommarkt verfügen wir über ein breites Wissen, welches auch bei der Liberalisierung des Gasmarkts von Nutzen sein wird.

Zur heutigen Situation unter Geltung der Verbändevereinbarung verweisen wir sodann auf unsere Publikation «Netzzugang im Schweizer Gasmarkt».