Update zur Erbrechtsrevision
Seit gut neun Jahren diskutiert der Bundesrat zusammen mit dem Parlament und einer Expertenkommission die Anpassung des über 100-jährigen Erbrechts. STAIGER haben in der Vergangenheit bereits mehrmals darüber berichtet:
- Neues aus Bundesbern - Revision des Erbrechts
- Bundesrat verabschiedet die Botschaft für ein revidiertes Erbrecht
Im Rahmen der Wintersession 2020 wurde die nun finale Revisionsvorlage vom Nationalrat verabschiedet. Das neue Recht soll am 1. Januar 2023 in Kraft treten, damit auch bereits bestehende Nachlassplanungsdokumente nötigenfalls angepasst werden können. Gerne geben wir Ihnen im Nachfolgenden einen kurzen Überblick über die bevorstehenden Änderungen:
1) Reduktion der Pflichtteile
Beim Tod des Erblassers erhält der überlebende Ehegatte nach Gesetz die Hälfte des Nachlasses und die Nachkommen erhalten die andere Hälfte des Nachlasses zu gemeinsamen Teilen.
Dieser gesetzliche Erbteil kann der Erblasser bis zum Pflichtteil reduzieren. Nach geltendem Recht beträgt der Pflichtteil des Ehegatten ½ seines gesetzlichen Erbteils (somit ¼ des gesamten Nachlasses) und der Pflichtteil der Nachkommen beträgt ¾ an ihrem gesetzlichen Erbteil (somit ½ des gesamten Nachlasses dividiert durch die Anzahl Nachkommen, multipliziert mit ¾).
Neu wird der Pflichtteil der Nachkommen anstelle der ¾ nur noch ½ des gesetzlichen Erbteils betragen. Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten bleibt bei ½ des gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteil der Eltern des Erblassers wird vollständig gestrichen.
Dies ermöglicht dem Erblasser, über einen grösseren Teil seines Vermögens frei zu verfügen und beispielsweise einzelne Erben (Ehegatte oder Nachkommen), Konkubinatspartner oder gemeinnützige Institutionen mehr zu begünstigen.
2) Ehegattenbegünstigung
Nach geltendem Recht haben die Ehegatten die Möglichkeit im Rahmen einer sogenannten «Nutzniessungslösung», den überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Kindern insofern zu begünstigen, als dass dieser maximal einen ¼ des Nachlasses zu Volleigentum und ¾ des Nachlasses zur Nutzniessung erhält.
Nach neuem Recht wird diese Ehegattenbegünstigung weiter ausgebaut, indem dem überlebenden Ehegatten neu ½ (anstelle von ¼) des Nachlasses zu Volleigentum und entsprechend ½ des Nachlasses zur Nutzniessung zugewendet werden darf.
Neu im Gesetz aufgenommen wird zudem eine Regelung, wie die Berechnung der Pflichtteile vorzunehmen ist, wenn die Ehegatten zusätzlich einen Ehevertrag haben, in welchem sie sich gegenseitig mehr als die gesetzlich vorgesehen Hälfte der Errungenschaft zuweisen (sogenannte Vorschlagszuweisung). Das neue Recht hält ausdrücklich fest, dass eine solche überhälftige Begünstigung des überlebenden Ehegatten bei der Berechnung der Pflichtteile nicht zu berücksichtigen ist. Diese Frage war in der Lehre zuletzt umstritten und sorgte auch im parlamentarischen Differenzbereinigungsverfahren und in der erbrechtlichen Praxis für viele Diskussionen. Diese neue Regelung schränkt die güterrechtliche «Nachlassplanung» stark ein.
Nach neuem Erbrecht wird die Verfügungsfreiheit zugunsten des überlebenden Ehegatten somit stark ausgebaut.
3) Wegfall des Pflichtteilsschutzes im Scheidungsverfahren
Gemäss aktueller Regelung fällt das gesetzliche Erbrecht, mithin der Pflichtteilsschutz, erst bei rechtskräftiger Ehescheidung dahin. Dies hatte zur Folge, dass das Scheidungsverfahren absichtlich in die Länge gezogen werden konnte, um allenfalls noch eine erbrechtliche Begünstigung zu erhalten. Im neuen Recht wird festgehalten, dass der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteilsanspruch verliert, wenn beim Tod des Erblassers ein Scheidungsverfahren hängig ist, dieses auf gemeinsames Begehren oder auf Klage hin eingeleitet worden ist und letzteren Falls die Ehegatten mit der Scheidung einverstanden gewesen sind oder seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben. Entsprechend kann ein Ehegatte nach dem Tod des Ehepartners während eines Scheidungsverfahrens keine Ansprüche mehr aus Verfügungen von Todes wegen (Testament/Erbvertrag) erheben.
4) Einschränkung der Verfügungsfreiheit über Gelegenheitsgeschenke hinaus
Gemäss heutiger Rechtsprechung kann der Erblasser trotz Vorliegen eines Erbvertrages über sein Vermögen grundsätzlich frei bestimmen. Enthält der Erbvertrag jedoch Schenkungsverbote oder -Einschränkungen sind diese Verfügungseinschränkungen für den Erblasser auch bisher verbindlich.
Nach revidiertem Recht besteht neu generell ein Schenkungsverbot bei Erbverträgen. Soll der Erblasser Schenkungen, welche über die üblichen Gelegenheitsgeschenke hinausgehen, tätigen dürfen, muss dies explizit im Erbvertrag vereinbart worden sein.
Das neue Recht führt somit zu einem Paradigmenwechsel. Es steht den Vertragsparteien zwar immer noch frei, dem Erblasser weiterhin Schenkungen zu erlauben. Dies muss neu aber explizit im Erbvertrag vereinbart werden.
5) Expliziter Ausschluss der Leistungen aus der gebunden Selbstvorsorge (Säule 3a)
Die Frage, ob Ansprüche aus der gebundenen Selbstvorsorge (Bank- oder Versicherungssparen) in den Nachlass fallen, ist im geltenden Recht umstritten. Im revidierten Recht sollen alle Begünstigten unabhängig von der Vorsorgeform einen eigenen und direkten Anspruch gegenüber der Bank oder der Versicherungen haben. Dies hat zur Folge, dass die Vorsorgeeinrichtungen ihre Leistungen direkt an die Begünstigten auszahlen können, ohne vorgängig die Erbengemeinschaft zu konsultieren und ohne Risiko, dass die Zahlung der Vorsorgeeinrichtung später von einem Erben oder der Erbengemeinschaft angefochten wird. Die Leistungen aus der Säule 3a gehören folglich nicht in den Nachlass, sie werden aber für die Berechnung der Pflichtteile berücksichtigt und können herabgesetzt werden.
6) Herabsetzungsreihenfolge der Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden
Klarheit will der Gesetzgeber auch betreffend die Herabsetzungsklage schaffen, sofern Pflichtteile von den Erben verletzt worden sind. Pflichtteilsverletzende Verfügungen sollen in folgender Reihenfolge herabgesetzt werde können: Erwerbungen, das heisst die Erbquote der gesetzlichen Erben, Zuwendungen von Tods wegen, Zuwendungen unter Lebenden. Neu hält das Gesetz auch ausdrücklich fest, dass Zuwendungen aus Ehevertrag als herabsetzbare Zuwendungen unter Lebenden zu qualifizieren sind.
7) Übergangsbestimmungen und Schlussfolgerung
Massgeblicher Anknüpfungspunkt für das Erbrecht ist immer der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin oder des Erblassers. Ist die Person vor dem Inkrafttreten der Revision verstorben, so gilt das alte Recht, stirbt sie nach Inkrafttreten der Revision, so kommt das neue Recht zur Anwendung. Zu beachten ist, dass dies unabhängig davon gilt, zu welchem Zeitpunkt eine letztwillige Verfügung bzw. ein Testament erstellt oder ein Erbvertrag abgeschlossen wurde. Damit sollen Auslegungsfragen vermieden werden und die Rechtsfolgen im Todesfall vorhersehbar sein.
Durch das revidierte Erbrecht wird die Verfügungsfreiheit des Erblassers generell und insbesondere auch zugunsten des überlebenden Ehegatten erhöht. Demgegenüber werden die Ansprüche der Nachkommen reduziert. Der Erblasser erhält nach neuem Recht einen grösseren Gestaltungsspielraum für seine Nachlassplanung.
Für die zukünftige Nachlassplanung ist folglich auch das neue Recht zu beachten und bisherige Testamente und Erbverträge sind auf das neue Recht hin zu überprüfen. Durch eine sorgfältige und somit widerspruchsfreie Nachlassplanung wird die Nachlassabwicklung enorm erleichtert und potentielle Konflikte unter den Erben und Begünstigten werden wesentlich reduziert. Gerne beraten wir Sie dabei.