Leitentscheid des Bundesgerichts zur Stufenklage
Mit dem Entscheid 4A_384/2024 (zur Publikation vorgesehen) hat das Bundesgericht kürzlich einen Entscheid erlassen, der in wünschenswerter Klarheit verschiedene Punkte zur Stufenklage regelt.
Im Rahmen eines Darlehensvertrags zur Finanzierung eines künftigen Zivilverfahrens hatten die beiden beteiligten Parteien vereinbart, dass der Darlehensgeber am Erfolg des Verfahrens beteiligt werden würde. Nach vergleichsweisem Abschluss des Verfahrens erstattete die Darlehensnehmerin dem Darlehensgeber zwar das Darlehen zuzüglich Zins, verweigerte ihm aber die Auskunft über den Inhalt des Vergleichs und die Auszahlung einer Erfolgsbeteiligung.
Daher verlangte der Darlehensgeber stufenklageweise, die Darlehensnehmerin sei zu verpflichten, bestimmte Informationen zu edieren, insbesondere eine Kopie der Vergleichsvereinbarung und eine Liste sämtlicher aus dem Vergleich erhaltener Zahlungen (Stufe 1). Ferner verlangte er, unter Angabe eines Mindestbetrags, die Darlehensnehmerin sei zu verpflichten, ihm einen nach Erhalt der Informationen gemäss Stufe 1 noch zu beziffernden Betrag zu bezahlen (Stufe 2).
Die drei angerufenen Instanzen entschieden die Stufe 1 im Sinne des Darlehensgebers. Das Bundesgericht nutzte die Gelegenheit, verschiedene prozessuale Themen in Erinnerung zu rufen bzw. klarzustellen. Nebst dem, dass es Ausführungen zum Rügeprinzip (E. 1.2), zur Vertretung an einer Schlichtungsverhandlung (E. 2), zum Recht der Berufungsinstanz, reformatorisch zu entscheiden (E. 2.6), und zum prozessualen Effekt eines Schuldbeitritts (E. 6) anbrachte, äusserte sich das Bundesgericht insbesondere zu mehreren für eine Stufenklage relevanten Fragen. Hiernach sollen die wesentlichsten Erwägungen zu Letzterem zusammengefasst wiedergegeben werden:
Einleitend charakterisierte das Bundesgericht die Stufenklage dadurch, dass ein materiellrechtlicher Hilfsanspruch auf Rechnungslegung mit einer unbezifferten Forderungsklage verbunden wird. Es beschrieb die Stufenklage wird als eine Art "sukzessive" Klagenhäufung, durch deren System dem Gericht ein Verfahrensprogramm vorgegeben wird und in der beide Stufen getrennt verhandelt werden (E. 3.4).
Sodann erinnerte das Bundesgericht daran, dass die klagende Partei grundsätzlich bereits in der Klageschrift aufzuzeigen hat, dass die gebotenen Bedingungen erfüllt sind, wenn sie sich auf eine Ausnahme von der Bezifferungspflicht beruft (E. 3.5). Im Unterschied zu einer unbezifferten Forderungsklage im engeren Sinne ergibt sich bei einer Stufenklage die Unzumutbarkeit der Bezifferung zu Prozessbeginn jedoch bereits daraus, dass von der klagenden Partei nicht verlangt werden kann, die Höhe ihres Anspruchs mittels eines vorgängigen – selbständigen – Verfahrens auf Auskunftserteilung zu ermitteln. Strengere Anforderungen an die Begründungspflicht zu stellen, wenn der Informationsanspruch im Rahmen einer Stufenklage geltend gemacht wird, als sie im separaten Rechnungslegungsprozess geboten wären, erscheint nicht angebracht. Entsprechend genügt es für eine Stufenklage, dass die klagende Partei ihren Anspruch auf Rechnungslegung in der Klageschrift, wie in einer separaten Klage auf Rechnungslegung, hinreichend substanziiert behauptet. Damit hat sie rechtsgenügend dargelegt, weshalb ihr eine Bezifferung nicht zuzumuten ist. Sobald die beklagte Partei jedoch ihrer Pflicht zur Rechnungslegung nachgekommen ist, ist die klagende Partei zur Bezifferung angehalten (E. 3.6).
Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass zu den vertraglichen Nebenpflichten Verhaltenspflichten gehören, die zum Zweck haben, die Hauptleistung zu ergänzen und deren ordnungsgemässe Erfüllung zu sichern bzw. den Vertragszweck zu erreichen, wie namentlich Schutz-, Obhuts-, Beratungs-, Unterlassungs-, Informations- und Aufklärungspflichten. Diese ergeben sich mangels entsprechender ausdrücklicher Abrede unmittelbar aus Art. 2 ZGB, mithin der Pflicht zu einer umfassenden Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners und zu loyalem Verhalten. Bei der diesbezüglich gebotenen Auslegung oder Ergänzung des Vertrages hat sich das Gericht am Denken und Handeln vernünftiger und redlicher Vertragspartner sowie am Wesen und Zweck des Vertrags zu orientieren (E. 4.3.1).
Daraus folgerte das Bundesgericht, dass sich eine Partei ein entsprechendes Informations-recht nicht explizit ausbedingen muss, wenn sie sich eine betraglich nicht im Voraus bestimmte Geldleistung versprechen lässt, deren Berechnung von zukünftigen, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ungewissen Umständen abhängt, welche nur die Gegenpartei, nicht aber sie selbst kennen kann. Vielmehr ergibt sich bereits aus der Natur des Geschäfts, dass dieser Partei die für die Abrechnung nötigen Informationsansprüche zustehen müssen (E. 4.3.6.2).
Schliesslich äusserte sich das Bundesgericht zur Frage, ob das Rechtsschutzinteresse an einer Auskunftserteilung besteht, wenn die aus der Auskunft abzuleitende Forderung offensichtlich chancenlos ist. Es differenzierte diesbezüglich, ob der Mangel betreffend die Forderung auch als Mangel betreffend den Informationsanspruch gelten muss. Nur wenn der Mangel den Informationsanspruch beseitigt, ist dieser für die Stufe 1 relevant. Ansonsten ist das Rechtsschutzinteresse an der Auskunftserteilung trotz potentiellen Nichtbestehens einer Forderung gegeben (E. 5.2 f.).
Dem Bundesgericht ist mit diesem Entscheid eine in klare Worte gefasste, absolut sinnvolle Beurteilung gelungen, und es ist ihm in all diesen Punkten vollumfänglich zuzustimmen.
Link zum Entscheid