Jonas Stüssi / Yasemin Varel02.10.2017

Achtung! Wiener Kaufrecht

Dieser Beitrag finden Sie in unserer Publikation «Paragraph» vom Juli 2017. Lesen Sie den vollständigen «Paragraph»!

Einleitung
Geschäftserfahrene Vertragsparteien bestimmen heute bei grenzüberschreitendem Handel in aller Regel das auf die Rechtsbeziehung anwendbare nationale Recht. Im Rahmen ihrer Rechtswahl unterlassen es die Parteien indessen regelmässig, näher zu spezifizieren, welche nationalen Gesetze und Abkommen von dieser Rechtswahl erfasst oder ausgeschlossen sein sollen. Die Parteien meinen sich dann im Schutz des ihnen vertrauten nationalen Obligationenrechts wiegen zu können. Sie verkennen dabei aber, dass sie durch die Wahl eines nationalen Rechts ihre Rechtsbeziehung unter Umständen automatisch dem Wiener Kaufrecht unterstellen und damit zugleich das ihnen vertraute und eigentlich als anwendbar gewollte Obligationenrecht wegderogieren. Kommt es in der Folge zu Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien, beurteilt sich die Auseinandersetzung nicht nach dem nationalen Obligationenrecht, sondern nach dem Wiener Kaufrecht. Dieses kann die Rechtsposition des Käufers oder des Verkäufers gegenüber dem vermeintlich gewählten nationalen Recht entscheidend verschlechtern oder verbessern. Dieser Beitrag soll einen groben Überblick über das Wiener Kaufrecht verschaffen.

1. Was ist das Wiener Kaufrecht?
Das Wiener Kaufrecht – in Englisch «United Nations Convention on contracts for the international sale of goods» oder kurz auch «CISG» genannt – ist ein völkerrechtlicher Vertrag über das für den internationalen Warenkauf massgebliche Recht. Es wurde am 11. April 1980 in Wien abgeschlossen. In der Zwischenzeit haben 85 Staaten – darunter die Schweiz und die meisten wesentlichen Handelsnationen – das CISG ratifiziert und damit zum Bestandteil ihres nationalen Rechts erklärt, womit das Wiener Kaufrecht zu einem der bedeutendsten Staatsverträge geworden ist. Es bezweckt die internationale Rechtsvereinheitlichung im grenzüberschreitenden Warenhandel. Im Unterschied zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht regelt das Wiener Kaufrecht nicht, welches nationale Recht auf ein Rechtsverhältnis anwendbar ist. Stattdessen enthält das Wiener Kaufrecht Bestimmungen, welche die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien direkt regeln und durch welche die Bestimmungen des nationalen Rechts, wie bspw. die Bestimmungen des Schweizerischen Obligationenrechts («OR»), komplett oder punktuell ersetzt werden.

2. Anwendungsbereich des Wiener Kaufrechts
Das Wiener Kaufrecht findet auf internationale Warenverträge Anwendung, wenn Verkäufer und Käufer ihre Niederlassungen bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in unterschiedlichen Vertragsstaaten haben. Ebenso findet das Wiener Kaufrecht auf internationale Warenverträge Anwendung, wenn das internationale Privatrecht des von einer Partei angerufenen Gerichts bzw. dessen Staates die Anwendbarkeit einer Rechtsordnung eines anderen Staates vorschreibt, der das Wiener Kaufrecht ratifiziert hat. Das Wiener Kaufrecht kann folglich selbst dann gelten, wenn beide Parteien, nur eine oder überhaupt keine Partei in einem Vertragsstaat niedergelassen sind.

Erklären bspw. eine in Liechtenstein ansässige Verkäuferin und ein in Indien ansässiger Käufer schweizerisches Recht auf einen Vertrag für anwendbar, haben sie durch die Wahl des schweizerischen Rechts automatisch auch das Wiener Kaufrecht auf das Vertragsverhältnis für anwendbar erklärt. Dies gilt, obschon Liechtenstein und Indien das Wiener Kaufrecht nicht ratifiziert haben und die Vertragsparteien nicht in Vertragsstaaten des Wiener Kaufrechts ansässig sind.

3. Automatische Anwendung
Führt also das internationale Privatrecht oder eine von den Parteien geschlossene Rechtswahl zur Anwendung des schweizerischen Rechts auf das Rechtsverhältnis, ist automatisch das Wiener Kaufrecht als dessen Bestandteil miterfasst und damit als spezielles Recht für internationale Kaufverträge anwendbar. Die Rechtswahl eines nationalen Rechts wie bspw. «deutsches Recht» oder «schweizerisches Recht» führt also nicht zum Ausschluss des Wiener Kaufrechts, sondern zu dessen Einschluss.

Verkauft bspw. eine in Indien ansässige Maschinenherstellerin einer in der Schweiz ansässigen Unternehmung eine Maschine und vereinbaren die Parteien rechtswirksam «schweizerisches Recht» als auf den Vertrag anwendbar, so werden die Rechte und Pflichten der Parteien, soweit diese nicht durch den Vertrag festgelegt werden, durch das Wiener Kaufrecht bestimmt. Denn mit der Wahl des Schweizerischen Rechts wurde automatisch auch das Wiener Kaufrecht miteingeschlossen. Dies gilt (wie oben gesehen) unbesehen davon, dass Indien das Wiener Kaufrecht nicht ratifiziert hat.

4. Geltungsbereich des Wiener Kaufrechts
Das Wiener Kaufrecht erfasst nur Kauf- und Werklieferverträge mit internationalem Bezug, die bewegliche Sachen zum Gegenstand haben. Es findet keine Anwendung auf Konsumentenkäufe, d.h. auf den Kauf von Waren für den persönlichen Gebrauch. Ohne Bedeutung ist hingegen, ob die Ware bereits existiert oder erst noch hergestellt werden muss. Des Weiteren findet das Wiener Kaufrecht in folgenden Gebieten keine Anwendung: Versteigerungen, Veräusserungen auf dem Wege der Zwangsvollstreckung, Verkauf von Wertpapieren oder Zahlungsmitteln, Seeschiffen sowie Luftfahrzeugen und der Verkauf von elektrischer Energie.

5. Regelungsbereich
Das Wiener Kaufrecht regelt den grenzüberschreitenden Kaufvertrag nicht umfassend. Wichtige Rechtsfragen, die sich bei einem Kaufvertrag stellen, werden vom Wiener Kaufrecht nicht erfasst: Es fehlen bspw. Normen in Bezug auf die Verjährungsdauer, die Gültigkeit des Vertrages, den Eigentumsübergang und die Produktehaftung für Personenschäden. Soweit die Parteien diese Themen nicht vertraglich geregelt haben, werden die Regelungslücken durch das subsidiär auf den Vertrag anwendbare nationale Recht geschlossen.

6. Dispositive Natur und Ausschluss
Das Wiener Kaufrecht ist von dispositiver Natur. Die Parteien können die Bestimmungen des Wiener Kaufrechts umgestalten oder ganz oder teilweise ausschliessen. Ein vollständiger, aber auch ein partieller Ausschluss des Wiener Kaufrechts, setzt einen unzweideutig ausgedrückten, tatsächlichen Willen der Parteien voraus. Von den Gerichten als Ausschluss gedeutet wurde in der Vergangenheit, wenn die Parteien ausdrücklich das «schweizerische Obligationenrecht» für anwendbar erklärten (dies im Gegensatz dazu, wenn die Parteien «schweizerisches Recht» für anwendbar erklären). Dennoch ist zu empfehlen, die Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts explizit auszuschliessen, sofern die gewünscht wird. Die Beweislast für den Ausschluss des Wiener Kaufrechts trägt diejenige Partei, welche sich auf den Ausschluss beruft.

7. Pflichten des Verkäufers unter dem Wiener Kaufrecht
Der Verkäufer ist nach Massgabe des Vertrages verpflichtet, dem Käufer Ware zu liefern, die in Menge, Qualität und Art sowie hinsichtlich Verpackung und Behältnis den Anforderungen des Vertrages entspricht. Ferner trifft den Verkäufer die Pflicht, dem Käufer sämtliche die Ware betreffenden Dokumente zu übergeben und das Eigentum an der Ware an den Käufer zu übertragen (Art.30 CISG). Die Ware muss zudem frei von Rechten und Ansprüchen Dritter sein (Art. 42 CISG).

Die Vertragsmässigkeit der gelieferten Ware beurteilt sich dabei in erster Linie nach dem Vertrag. Soweit die Parteien die Eigenschaften der Ware nicht vertraglich festgelegt haben, enthält das Wiener Kaufrecht in Art. 35 Abs.2 CISG objektive Mindeststandards für die Beschaffenheit der Ware. Danach entsprechen die Ware und die Verpackung dem Vertrag nur:

  1. wenn sich die Ware für die Zwecke eignet, für welche Waren der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden;
  2. wenn sich die Ware für einen bestimmten Zweck eignet, der dem Verkäufer bei Vertragsabschluss ausdrücklich oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht wurde;
  3. wenn die Ware die Eigenschaften einer Ware besitzt, die der Verkäufer dem Käufer als Probe oder Muster vorgelegt hat;
  4. wenn die Ware in der für Ware dieser Art üblichen Weise oder, falls es eine solche Weise nicht gibt, in einer für die Erhaltung und den Schutz der Ware angemessenen Weise verpackt ist.

8. Pflichten des Käufers unter dem Wiener Kaufrecht
Die Pflichten des Käufers sind in Art. 53–60 CISG geregelt. Der Käufer ist im Wesentlichen nach Massgabe des Vertrages, subsidiär nach Massgabe des Wiener Kaufrechts, dazu verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen und die Ware anzunehmen und entsprechend auch allfällig nötige Mitwirkungshandlungen vorzunehmen.

9. Rechtsbehelfe des Käufers bei Pflichtverletzung durch den Verkäufer
Im Unterschied zum Schweizer Obligationenrecht unterscheidet das Wiener Kaufrecht nicht zwischen Nichterfüllung (Ausbleiben der geschuldeten Leistung), Verzug (verspätete Leistung) und Vertragsverletzung (mangelhafte Leistung), sondern geht von einem einheitlichen, verschuldensunabhängigen Tatbestand der Vertragsverletzung aus. Das Wiener Kaufrecht unterscheidet in Art. 25 CISG dabei zwischen wesentlicher und unwesentlicher Vertragsverletzung.

Eine Vertragsverletzung ist dann wesentlich, wenn sie für die andere Partei derartige Nachteile zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Während eine «einfache Vertragsverletzung» insbesondere zu Schadenersatz und/oder Kaufpreisminderung berechtigt, kann eine «wesentliche Vertragsverletzung» einen Anspruch auf Aufhebung des Vertrags oder auf Ersatzlieferung bewirken.

Im Falle einer Vertragsverletzung stehen dem Käufer insbesondere die folgende Rechtsbehelfe zur Verfü- gung (Art. 45 ff. CISG):

  1. Nachbesserung Im Gegensatz zum Schweizerischen Obligationenrecht kennt das Wiener Kaufrecht einen Nachbesserungsanspruch des Käufers bzw. ein Nachbesserungsrecht des Verkäufers, soweit eine Nachbesserung unter Berücksichtigung aller Umstände zumutbar ist.
  2. Minderung Ist die Ware nicht vertragsgemäss, kann der Käufer den Kaufpreis mindern und zwar unabhängig davon, ob der Kaufpreis bezahlt worden ist oder nicht. Die Minderung ist ein einseitiges Recht des Käufers, welches er durch formfreie Erklärung ausübt.
  3. Ersatzleistung Soweit die Voraussetzungen für eine wirksame Ersatzlieferung vorliegen, ist der Verkäufer verpflichtet, die mangelhafte Ware gegen vertragsgemässe Ware auszutauschen.
  4. Wandlung Bei wesentlichen Vertragsverletzungen kann der Käufer innerhalb einer angemessenen Frist einseitig die Aufhebung des Vertrages erklären. Bei zulässiger Vertragsaufhebung wandelt sich das Vertragsverhältnis in ein Rückabwicklungsverhältnis um. Im Rahmen dieses Rückabwicklungsverhältnisses trifft den Verkäufer die Pflicht zur Rückerstattung des Kaufpreises. Den Käufer trifft die Pflicht zur Rückgabe des Kaufgegenstandes.
  5. Schadenersatz Unter dem Wiener Kaufrecht kann der Käufer entweder eigenständig oder zusammen mit anderen Rechtsbehelfen (wie z.B. Vertragsaufhebung oder Minderung) Schadenersatz geltend machen. Das Wiener Kaufrecht enthält dabei keine Definition des Schadensbegriffs, sondern richtet sich nach dem Grundsatz der Totalreparation: Als Schadenersatz kann daher, unter Vorbehalt anderweitiger Abreden, der entstandene Verlust einschliesslich des entgangenen Gewinns geltend gemacht werden.

10. Rechtsbehelfe des Verkäufers bei Pflichtverletzung durch den Käufer
Die Pflichtverletzung des Käufers ergibt sich entweder aus dem Ausbleiben der Bezahlung des Kaufpreises oder aus der Verweigerung der Annahme der Ware. Das Wiener Kaufrecht stellt dem Verkäufer in den Art. 61-65 CISG eine Reihe von Rechtsbehelfen zur Verfügung. Insbesondere kann der Verkäufer im Rahmen von Zug-um-Zug-Geschäften bei Nichtbezahlung durch den Käufer die Übergabe der Ware von der Zahlung des Kaufpreises abhängig machen und die Ware entsprechend bis zur Bezahlung zurückbehalten. Nebst Vertragsaufhebung bei wesentlicher Vertragsverletzung (zumeist allerdings erst nach einer erfolglosen Nachfrist) hat der Verkäufer sodann kumulativ auch das Recht auf Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen.

11. Empfehlungen mit Bezug auf zentrale Themen

  1. Soweit eine Vertragspartei die Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts ein- oder ausschliessen möchte, ist im Verhandlungsstadium des Vertrages darauf zu achten, dass der Ein- oder Ausschluss im Vertrag selbst unmissverständlich erklärt wird. Eine Rechtswahlklausel, mit welcher sichergestellt werden soll, dass das Schweizerische Obligationenrecht auf das Vertragsverhältnis zur Anwendung kommt, könnte wie folgt formuliert werden:
    Dieser Vertrag sowie dessen Auslegung und Klagbarkeit unterstehen materiellem Schweizerischen Recht unter Ausschluss (i) internationaler Übereinkommen, auch dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge für den internationalen Warenverkauf vom 11.04.1980 (CISG), und unter Ausschluss (ii) der kollisionsrechtlichen Normen.
  2. Für die Schadenersatzpflicht unter dem Wiener Kaufrecht ist die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Schäden an sich irrelevant, da auch indirekte Schäden zu ersetzen sind. Will die Verkäuferin daher ihre Haftung auf direkte Schäden beschränken, muss sie dies vertraglich tun. Dabei ist aber zu beachten, dass die Abgrenzung zwischen direktem und indirektem Schaden einen erheblichen Bewertungsspielraum eröffnet. Deshalb sind die Parteien gut beraten, wenn sie bereits im Vertrag genau definieren, was unter direktem Schaden und was unter indirektem Schaden zu verstehen ist.

12. Fazit
Inwiefern das Wiener Kaufrecht für den Verkäufer oder den Käufer im Einzelfall eine gegenüber dem alternativ anwendbaren Obligationenrecht eines bestimmten Staates vorteilhaftere Rechtsordnung aufweist, ist jeweils im Einzelfall anhand der Gesamtumstände vor Vertragsschluss zu prüfen. Basierend darauf ist zu entscheiden, ob die Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts sinnvoll erscheint oder nicht und dementsprechend eingeschlossen oder ausgeschlossen werden soll. In jedem Fall sollte die Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts nicht dem Zufall überlassen werden. Schliesslich kann man seine Rechtsposition nur einschätzen, wenn man weiss, nach welchem Recht man diese zu beurteilen hat.

«Thinkabouts» bei der prozessualen Durchsetzung von Ansprüchen unter Wiener Kaufrecht aus Sicht des Käufers

Das Verhalten der Parteien unmittelbar im Anschluss an eine Vertragsverletzung (bspw. bei Entdeckung von Mängeln) kann für die erfolgreiche prozessuale Durchsetzung oder Abwehr von daraus resultierenden Ansprüchen entscheidend sein. Nachfolgend wird ein Schlaglicht auf einzelne Problemfelder geworfen, welche vom Käufer vorprozessual oder bei Klageeinleitung unbedingt zu berücksichtigen sind.

1. Zu beachtende Fristen
Die Durchsetzung von Ansprüchen unter dem Wiener Kaufrecht hängt von der Einhaltung diverser Fristen ab. Werden diese nicht gewahrt, hat dies in der Regel die Verwirkung oder Verjährung der Ansprüche des Käufers zur Folge. Die Ansprüche sind dann nicht mehr gerichtlich durchsetzbar. Besondere Beachtung ist folgenden Fristen zu schenken:

  1. Die Untersuchungsfrist
    Die Untersuchungsfrist nach Art. 38 CISG schreibt vor, innert welcher Frist der Käufer die gelieferte Ware auf offene bzw. erkennbare Mängel untersuchen muss. Die Untersuchung der Ware bildet dann auch die Grundlage der Rüge der Vertragswidrigkeit.

    Der Fristenlauf der Untersuchungsfrist beginnt in der Regel im Zeitpunkt, in dem die Ware dem Käufer am vereinbarten Lieferort zur Verfügung steht. Für die Dauer der Frist ist massgebend, in welchem Zeitraum ein sorgfältiger Käufer unter den konkreten Umständen des Einzelfalles die Untersuchung vernünftigerweise durchführen würde.

    Die Dauer der Untersuchungsfrist bemisst sich an unterschiedlichen Kriterien. Bei der Bemessung zu berücksichtigen sind die Art der Ware, die Komplexität der Ware und die Offensichtlichkeit des Mangels. Als Faustregel gilt bei unverderblichen und nicht starken Preisschwankungen unterworfenen Waren eine Untersuchungsfrist von zwischen einer und zwei Wochen als angemessen. Handelt es sich beim Handelsgut jedoch bspw. um komplexe Maschinen, kann eine Untersuchungsfrist von mehreren Wochen bis hin zu mehreren Monaten angemessen sein.
     
  2. Die Rügefrist
    Die Rügefrist bestimmt, innert welcher Frist offene oder verdeckte Mängel nach deren Entdeckung der Verkäuferin angezeigt werden müssen. Gemäss Art. 39 Abs. 1 CISG muss die Rüge innert einer angemessenen Frist, nachdem der Käufer die Mängel festgestellt hat oder hätte feststellen müssen, erfolgen. Die Dauer wird daher nicht absolut bestimmt. Als grober Richtwert ist bei nicht verderblichen, leicht überprüfbaren Gütern, welche nicht starken Preisschwankungen unterliegen, von einer Rügefrist von einem Monat auszugehen.

    Ab Erhalt der Ware läuft dem Käufer daher eine aus der Untersuchungsfrist und einer Rügerfrist zusammengesetzte „Gesamtrügefrist“ zur Anzeige von offenen bzw. erkennbaren Mängeln. Verdeckte Mängel, daher Mängel, welche bei der ordentlichen Untersuchung nicht erkennbar waren, müssen innerhalb einer angemessenen Frist nach deren Entdeckung (und innerhalb der Ausschlussfrist, vgl, nachstehend) gerügt werden.
     
  3. Die Ausschlussfrist
    Die Ausschlussfrist (auch Verwirkungsfrist oder Präklusionsfrist genannt) gemäss Art. 39 Abs. 2 CISG bestimmt den absoluten zeitlichen Rahmen, innert welchem offene oder verdeckte Mängel gegenüber der Verkäuferin gerügt werden müssen. Die Frist kann weder gehemmt noch unterbrochen werden. Nach Ablauf der Ausschlussfrist verliert der Käufer in jedem Fall das Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit zu berufen. Diese sogenannte Ausschlussfrist beträgt von Gesetzes wegen 2 Jahre. Sie beginnt mit Übergabe der Ware zu laufen. Diese Frist kann mittels Parteivereinbarung verlängert werden.

    Entdeckt bspw. ein Käufer 1 Jahr und 350 Tage nach Erhalt der Ware einen bis dann verdeckt gebliebenen Mangel und rügt er den Mangel innert einer angemessenen Rügefrist von 10 Tagen, so erfolgt seine Rüge innerhalb der Ausschlussfrist von total 2 Jahren (1 Jahr 350 Tage + 10 Tage = 1 Jahr 360 Tage). Rügt er den Mangel im gleichen Beispiel hingegen mit einer angemessenen Rügefrist von 30 Tagen (vgl. vorstehend unter Ziffer 2), so rügt er den Mangel erst nach einem Jahr und 380 Tage seit Erhalt der Ware und daher ausserhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist von 2 Jahren. Entsprechend kann er sich in diesem Fall nicht mehr auf die Vertragswidrigkeit berufen und die Rechtsbehelfe des Wiener Kaufrechts stehen ihm nicht mehr zur Verfügung.
     
  4. Die Verjährungsfrist
    Die Verjährungsfrist schreibt vor, innert welcher Frist die Mängelbehelfe gemäss Art. 45 CISG gerichtlich geltend gemacht werden müssen. Das Wiener Kaufrecht enthält selbst keine Verjährungsvorschriften. Die Verjährung beurteilt sich daher nach dem auf die Forderung anwendbaren Recht.

    Erklärt das internationale Privatrecht des Staates, vor dessen Gerichten die Sache anhängig ist, das materielle Recht eines Vertragsstaats des New Yorker UN-Übereinkommens vom 14. Juni 1974 über die Verjährung beim internationalen Warenkauf für anwendbar, so beurteilt sich die Verjährung nach diesem Übereinkommen. Diesfalls beträgt die Verjährungsfrist 4 Jahre.

    Die Schweiz ist dem vorstehend erwähnten UN-Übereinkommen nicht beigetreten. Soweit subsidiär zum Wiener Kaufrecht schweizerisches Recht auf das Vertragsverhältnis anwendbar ist, richtet sich die Verjährung nach dem OR. Ansprüche aus Kaufvertrag oder Werklieferungsvertrag für bewegliche Sachen verjähren danach in der Regel in zwei Jahren ab (Art. 201 und Art. 371 OR).


2. Inhaltliche Anforderungen an die Mängelrüge
Unter dem Wiener Kaufrecht ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Mängelrüge zureichend, welche die Natur bzw. die Wesensart der Vertragswidrigkeit angibt. Dazu ist etwa hinreichend, wenn der Käufer mitteilt, eine Maschine bzw. bestimmte  Teile davon würden nicht funktionieren, und er die entsprechenden Symptome angibt. Nicht erforderlich ist, dass er auch die Ursachen der Funktionsstörungen bezeichnet (BGE 130 III 258 E 4.3). Soweit ein Gut mehrere Mängel aufweist, ist jeder Mangel separat zu rügen. Die Mängelrüge bedarf, unter Vorbehalt einer bestimmten Vertragsabrede, keiner besonderen Form. Aus Beweisgründen ist es aber empfehlenswert, die Mängel in schriftlicher Form zur Anzeige zu bringen. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit und inhaltliche Richtigkeit der Mängelrüge trägt der Käufer.

3. Recht zur Nacherfüllung des Verkäufers / Nachfristansetzung
Vor der Ausübung eines Rechts wie Wandlung, Nachlieferung, Minderung oder Schadenersatz hat der Käufer abzuklären, ob der Verkäufer gemäss Art. 48 CISG allenfalls ein Recht zur Nacherfüllung hat und ob der Käufer ein solches dulden muss. Dies ist in der Regel nicht der Fall, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt.

Anders als unter schweizerischem Obligationenrecht ist der Käufer hingegen vor Ausübung eines Rechts gemäss Wiener Kaufrecht regelmässig nicht verpflichtet, dem Verkäufer eine Nachfrist anzusetzen, bevor er die ihm zustehenden Rechtsbehelfe ausübt. Setzt der Käufer dem Verkäufer hingegen dennoch eine Nachfrist, ist er an diese gebunden und kann erst nach deren Ablauf seine Rechte wegen Vertragsverletzung ausüben (vgl. Art. 47 CISG).

4. Zinshöhe
Diejenige Partei, welche mit einer fälligen Geldschuld in Verzug ist, hat darauf Zinsen zu zahlen. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Zinshöhe nicht aus dem Wiener Kaufrecht ergibt.

Der Zins für Schadenersatzansprüche richtet sich unter dem Wiener Kaufrecht nach dem nationalen Recht, welches subsidiär zum Wiener Kaufrecht auf den Vertrag Anwendung findet.

Demgegenüber richtet sich die Zinshöhe beim Anspruch auf Rückerstattung des gesamten oder eines Teils des Kaufpreises nach erfolgter Vertragsaufhebung oder Minderung gemäss herrschender Lehre nach den üblichen Zinsen am Ort der Niederlassung des Verkäufers. Hat der Verkäufer seine Niederlassung bspw. in Indien, so kann dies dazu führen, dass die Rückzahlungsforderung zu einem Zinssatz von bis zu 18% p.a. zu verzinsen ist. Dies hat zur Folge, dass nach nur 5 Jahren der Prozessführung der Zinsanspruch nahezu dem eingeklagten Anspruch entspricht.

5. Schiedsgerichtsbarkeit
Wurde von den Vertragsparteien für Streitigkeiten aus dem Vertrag ein Schiedsgericht für zuständig erklärt, stellt sich die Frage, ob auch das Schiedsgericht das Wiener Kaufrecht automatisch zur Anwendung bringen muss. Während staatliche Gerichte aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung das Wiener Kaufrecht grundsätzlich von Amtes wegen anzuwenden haben, ist dies bei Schiedsgerichten nicht der Fall. Schliesslich unterliegen Schiedsgerichte als durch Parteivereinbarung eingesetzte Streitbeilegungsinstanzen keinen derartigen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Bei den Schiedsgerichten bestimmt die auf das Schiedsverfahren anwendbare Schiedsordnung, wie die Schiedsgerichte das anwendbare Recht bestimmen. Besteht eine Rechtswahl zu Gunsten eines nationalen Rechts eines Mitgliedsstaates des CISG, hat das Schiedsgericht mittels Auslegung zu ermitteln, ob das Wiener Kaufrecht von dieser Wahl erfasst ist oder nicht. Besteht keine Rechtswahl, ist das anwendbare Recht über die Mechanismen der Schiedsordnung in Erfahrung zu bringen.

6. Empfehlungen

  1. Das Verhalten der Parteien im Anschluss an eine Leistungsstörung kann für die spätere erfolgreiche prozessuale Durchsetzung oder Abwehr von Haftpflichtansprüchen entscheidend sein. Es empfiehlt sich deshalb, sich unmittelbar im Anschluss an deren Entdeckung rechtlich darüber beraten zu lassen, welche unmittelbaren Vorkehrungen zu treffen sind. Zu denken ist unter anderem an eine fristgerechte Mängelrüge, an Beweissicherungsmassnahmen oder Massnahmen zur Schadensminderung.
  2. Ergibt eine kursorische Prüfung der Rechtslage in einem konkreten Fall, dass das Wiener Kaufrecht für eine Partei vorteilhafter ist, als das nationale Obligationenrecht, so ist zu empfehlen, dass das Gericht in einem möglichst frühen Prozessstadium auf die Anwendbarkeit des Wiener Kaufrechts und auf die für den Fall zentrale Regelung unter dem Wiener Kaufrecht hingewiesen wird. So kann das Risiko minimiert werden, dass das Gericht den Fall geleitet von dem ihm vertrauteren, im konkreten Fall jedoch unvorteilhafteren Regelungen und Rechtsprinzipien des nationalen Obligationenrechts beurteilt.